Das verspricht schon deshalb einige Spannung, weil Bad Kissingen ein Staatsbad der Wittelsbacher in München war, die seine Entwicklung stark gefördert haben. Zwischen ihnen und den Habsburgern, die in Wien regierten, bestand über 700 Jahre erbitterte Gegnerschaft, die auch vor Kriegen nicht haltmachte. Konnten da Beziehungen entstehen?
Ein Freiheitsheld
Natürlich hat es die immer gegeben, vor allem im kulturellen Bereich. Es ist ein Kuriosum, dass ausgerechnet der Ungar, der den Kissingern zuallererst einfällt, mit ihrer Stadt überhaupt nichts zu tun hatte: der »Freiheitsheld« Ferenc Fürst Rákóczy, der den Aufstand gegen die Habsburger wagte. Er hat Kissingen nie besucht. Aber er war ein populäres Gesprächsthema zu der Zeit, als die nach ihm benannte Quelle entdeckt wurde. Das Wasser war so wild sprudelnd, wie man sich einen Freiheitshelden vorstellte, und hatte damit seinen Namen. Auch heute kann man ihm noch begegnen: Er sitzt, unübersehbar, auf einem Stuhl vor der Wandelhalle – als Skulptur des ungarischen Bildhauers und Malers Imre Várga.
Sein Name bringt auch einen Böhmen ins Spiel: 1687 wurde in Eger Balthasar Neumann geboren, einer der bedeutendsten Architekten des Barock und des Rokoko. Die Würzburger Residenz ist sein berühmtestes Werk, aber er hat auch in Bad Kissingen Spuren hinterlassen: Von ihm stammen die Pläne für das königliche Kurhaus (um 1820 abgerissen) und das Langhaus der Marienkapelle. Vor allem aber entdeckte er 1738 bei einer Verlegung der Saale im Kurgartenbereich den verschütteten »Scharfen Brunnen« wieder, der heute »Rákóczy-Quelle« heißt.
Böhmische Musiker
Für Bad Kissingen spielen die Beziehungen in den K.-u. -k.-Bereich eine wichtige Rolle, denn die Kurmusik, ein wesentlicher Bestandteil der Attraktivität des Bades, kam aus Böhmen. Natürlich gab es auch vorher schon Musik in Kissingen. Wenn der Landesherr, Fürstbischof Johann Philipp von Schönborn, vorbeischaute, hatte er auch ein paar Musiker in seinem Gefolge. Aber einen regelmäßigen Musikbetrieb gab es erst, als Johann Kliegl 1836 mit 15 böhmischen Musikern für eine ganze Saison in die Stadt kam. Die Resonanz der Gäste war – trotz mancher schrägen Töne – so gut, dass die Badpächter, die Brüder Bolzano, die Truppe auch für die nächsten Jahre engagierten. Allerdings mussten sich die Musiker ihr Geld selbst zusammenspielen. Für Johann Kliegl ein Dilemma, weil er zu Kurbeginn nie wusste, wer seiner Musiker wiederkommen würde. Die Situation besserte sich erst, als das Badcommissariat 1855 den Mainzer Kapellmeister Wilhelm Heinefetter verpflichtete, der sich wiederum Musiker aus Böhmen, aber auch vom Würzburger Theater und der Meininger Hofkapelle suchte, die er jetzt auch bezahlen konnte. Der Weg in die Zukunft war frei.
Auf diesem Weg tauchte 1906 erstmals ein Orchester in der Stadt auf, das auch schon mehrfach beim Kissinger Sommer gastiert hat: 1900 als »Wiener Concertverein« gegründet, nannte es sich später »Wiener Symphoniker«. Die sommerliche Verpflichtung nach Bad Kissingen war kein Akt der Lust und Laune, sondern wirtschaftliche Notwendigkeit. Denn im Sommer waren die Musiker nicht nur vertraglos, sondern hatten auch keine Einkünfte. Für Kissingen waren die Wiener geradezu prädestiniert; denn nach ihrem Wahlspruch »Musik für alle, Bildung für alle, Kultur für alle« hatten sie auch Erfahrungen mit populären Konzerten, ohne das Ernste zu vernachlässigen. Dirigenten der Kissinger Sessionen waren Martin Spörr, Josef Roubicek und Ernst Netsch. Jeden Mittwoch gab es Symphoniekonzerte, in denen die Wiener Komponisten, allen voran Brahms, Bruckner und Mahler im Mittelpunkt standen. Dazu kamen Gastdirigenten wie Ferdinand Löwe, Felix Mottl oder Max von Schillings und Solisten wie Ferruccio Busoni, Bronisław Huberman oder Ernst von Dohnányi. Mit einem Jahr Unterbrechung kamen die Wiener Symphoniker bis 1918.
Und noch eine kleine Beobachtung fällt auf, die freilich nur ein Zufall sein kann: Alexander Steinbeis beginnt als neuer Intendant mit einem Blick auf die Musik der K.-u.-k.- Monarchie. Als 1986 der Kissinger Sommer als Festival Premiere feierte, das Brücken über den Eisernen Vorhang bauen sollte, war das erste Gast- und Schwerpunktland Ungarn.
»Hohe Kur« in Kissingen
Der bekannteste Beziehungsfall zwischen Bad Kissingen und der K.-u.-k.-Monarchie ist allerdings nicht musikalischer Art. Es sind die Kuraufenthalte der Gräfin von Hohenembs, die 1862 zum ersten Mal mit kleinem Gefolge in Kissingen auftauchte – einer Frau, die es gar nicht gab. Natürlich wussten die Kissinger, wer sie wirklich war: Kaiserin Elisabeth von Österreich. Sie reiste inkognito unter Pseudonym, weil sie nicht erkannt werden wollte – allerdings hielt sie sich auch weitgehend fern von der Öffentlichkeit. Der Grund war ein ganz praktischer: Wäre sie als Kaiserin Elisabeth angereist, hätte sie eine enorme protokollarische Maschinerie in Gang gesetzt. Das wollte sie sich, aber auch den Kissingern ersparen. Insgesamt fünf weitere Aufenthalte schlossen sich bis 1898 an. Der Kurort – mittlerweile Bad Kissingen – sagte ihr offensichtlich zu.
Schlagzeilen machte ihr Aufenthalt 1884, denn da reiste sie in Begleitung des Grafen von Hohenembs – natürlich ihr Gemahl, Kaiser Franz Joseph von Österreich. Sie trafen sich hier mit Graf und Gräfin Borodinsky aus St. Petersburg – alias Zar Alexander und Zarin Maria Alexandrowa. Der bayerische König Ludwig kam für eine Nacht aus München, um die hohen Gäste zu begrüßen. Heute würde man so ein Zusammentreffen »G2-Gipfel« nennen. Damals hieß es »Hohe Kur«. Franz Joseph war auch im Frühjahr 1898 noch einmal da, um seine Gemahlin abzuholen. Ein Vierteljahr später wurde sie in Genf ermordet. Aber das ist eine andere Geschichte.